Maschinen von Honda haben ab Mitte der sechziger Jahre
maßgeblich die Motorradwelt mit geprägt. Erst war es die CB450, danach die CB750 Four und dann die GL1000 Gold Wing. Aus dem japanischen "King of the Road" ist inzwischen die GL1800 Gold Wing geworden. Wir blättern im Geschichtsbuch.
Die Gold WING
Honda Gold Wing, ein weiterer Meilenstein in der Motorradgeschichte    

Anfang der Siebziger dümpelte bei uns der Motorradmarkt am Boden. Wer etwas vom Fach verstand, setzte keinen Pfifferling aufs Zweirad. Bis zum Herbst 1972. Musste im Vorjahr der Handel noch eine Minusbilanz verbuchen, ging es plötzlich steil bergauf. Alle, die das Motorradgeschäft bis dato für tot erklärt hatten, wurden spätestens bei der IFMA 1972 in Köln Lügen gestraft. "Größer, stärker und schneller"- keine Aussage hätte die gebotene Show besser treffen können. Aussteller aus der ganzen Welt waren gekommen, die Zuschauerzahlen überboten alles bisher Dagewesene. Die englischen Hersteller trumpften noch einmal mächtig auf. Mit ihren 750er Topmodellen BSA Rocket3, Triumph Trident und Norton Commando versuchten sie zu retten, was noch zu retten war. Vergeblich, wie wir heute wissen. Ganz anders die klangvollen Marken aus Italien. Von Ducati, Moto Guzzi, Benelli, Laverda und MV Agusta kamen brandneue Maschinen mit Zwei-, Drei- und sogar Vierzylinder-Viertakt-Motoren, die bis zu 1000 ccm und gut 80 PS hatten. BMW in München setzte voll auf die neue Strich-5 Modellgeneration, Friedel Münch fertigte mit frischem Elan in exklusiver Kleinserie weiterhin die Münch-4 TTS 1200, und Harley-Davidson war mit Abstand der teuerste Exote in der Branche. Mit großem "Halali" bliesen die vier japanischen Firmen - Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki - zur Eroberung des europäischen Marktes. Eine noch nie erlebte Modellvielfalt, bestückt mit Zwei- und Viertakt-Triebwerken von 50 bis 900 ccm, wurde von den Asiaten feil geboten. Fans und Fachleuten verschlug es beim Anblick der Highlights schier den Atem. Von Yamaha gab es neben den pfeilschnellen 250er und 350er Zweizylinder-Zweitakt-Sportmaschinen die kernigen Viertakt-Twins XS 650 und TX 750, Honda hatte zur erfolgreichen CB 750 die CB 500 Four gestellt, Suzuki blieb mit der neuen GT 380, GT 550 und GT 750 weiterhin dem Zweitaktprinzip treu. Auch Kawasaki ließ sich in diesem Metier nicht lumpen. Hatte die 500 H1 "Mach III" bereits im Herbst 1968 für Aufregung gesorgt, umfasste die Dreizylinder-Zweitakt-Palette nun die 250 S1 "Mach I", 350 S2 "Mach II", 500 H1B "Mach III" und 750 H2 "Mach VI". Doch längst nicht genug.
Kawasaki "Z1"
Ohne Vorwarnung präsentierte das Werk die 900 Super 4, kurz "Z1". Ein Motorrad der Superlative: DOHC-Vierzylinder-Motor, 903 ccm, 82 PS, 220 km/h Spitze - und das zum Preis von nur 7200 Mark. Den Kawa-Verantwortlichen war die Überraschung nachhaltig gelungen. Die ganze Motorradwelt schaute auf die neue Supermaschine. Sehr zum Leidwesen von Soichiro Honda. Schließlich war er es gewesen, der 1965 mit der CB 450 und vier Jahre später mit der CB 750 Four einen Meilenstein in der Motorradgeschichte gesetzt hatte. Rückblickend betrachtet löste die 750er Four den Motorradboom Anfang der Siebziger aus. Der vom Erfolg verwöhnte Firmenboss konnte und durfte sich die Schmach nicht gefallen lassen. Nicht zu vergessen ist, dass damals ein beinharter Konkurrenzkampf unter den vier japanischen Produzenten herrschte. Hondas Antwort war schnell gefunden. Noch im Dezember 1972 stürzten sich Versuchsingenieure bei R&D (Research & Development Center) auf die neue Herausforderung. Gemäß dem Auftrag "machen, was machbar ist", begab man sich an die Entwicklung eines sportlichen Super-Tourers. Es sollte der "King of the Motorcycles" werden, der in jeglicher Hinsicht die sportliche Kawasaki "Z1" übertraf, aber auch jenen exzellenten Tourenkomfort besaß, den bisher nur eine BMW zu bieten hatte. Kein Geringerer als der geniale Ingenieur Soichiro Irimajiri übernahm die Leitung des Projektes mit dem internen Codenamen "M1"    
Erst Projekt "M1", später "AOK"    
Irimajiri San war der richtige Mann für diese Aufgabe, als 24jähriger hatte er bereits 1964 die sensationelle Sechszylinder-Werksrennmaschine RC 164 konstruiert. Und so wundert es nicht, dass der Viertaktspezialist wieder ein Sechszylinder-Triebwerk entwarf. Diesmal allerdings nicht als DOHC-Reihen-Motor, sondern als längsliegendes Flüssigkeits gekühltes OHC-Sechszylinder-Boxer-Aggregat mit sage und schreibe 1470 ccm Hubraum. Diese Ausführung war für Irimajiri eine logische Schlussfolgerung, schließlich sollte das Triebwerk die bisherige Norm sprengen und darüber hinaus automobilmässige Perfektion besitzen. Das Aggregat wurde eine Wucht. Zwar lag die Motorleistung nur bei kommoden 61 bhp bei 7500/min, dafür lief der Sechszylinder seidenweich und verfügte über ein sehr breites Drehzahlband. Um den Prototyp möglichst rasch auf die Räder zu stellen, bedienten sich die japanischen Konstrukteure erprobten Bauteilen von BMW. Das Vierganggetriebe samt Hinterradschwinge mit Kardanantrieb, Hinterrad, Federbeinen, Sitzbank sowie den Endschalldämpfern "borgte" man sich kurzerhand von einer R 75/5. Eingebaut wurde das "Joint venture"-Triebwerk in einen stabilen Doppelrohrrahmen mit abschraubbaren Unterzügen, die Vorderpartie nahm man aus dem Ersatzteillager für die CB 750. Im Fahrbetrieb erfüllte das rund 220 kg schwere Bike seine Aufgabe glänzend. Niedertouriges Dahingleiten war genauso wie sportliche Fahrweise möglich. Den Sprint über die Viertelmeile bewältigte die "AOK", wie man den Prototyp inzwischen bezeichnete, in nur 12,4 Sekunden. Einen Wert, den selbst die CB 750 nicht erreichte. Um dem Anspruch "King of the Road" gerecht zu werden, bekam der Super-Tourer als Sonderausstattung Seitenkoffer. Trotz rundherum positiver Testergebnisse sollte die AOK jedoch nie in Serie gehen, sie war ihrer Zeit einfach um Jahre voraus. Soichiro Irimajiri hatte dieses Motorrad 16 Jahre zu früh konstruiert. Die GL 1500 mit dem Flüssigkeits gekühlten Sechszylinder-Boxer-Motor kam erst 1988 auf den Markt...    
Nun war das Projekt Super-Tourer damit aber nicht gestorben. Ganz im Gegenteil. Honda war im Zugzwang und musste schnellstmöglichst ein neues Motorrad auf den Markt bringen. Doch an das Sechszylinderprojekt traute man sich offensichtlich noch nicht so richtig heran. Und so fiel die Entscheidung zugunsten eines Vierzylinderaggregates. Die Arbeit begann also wieder von vorne, etliche Entwicklungserkenntnisse, wie zum Beispiel Wasserkühlung und Kardanantrieb, ließen sich jedoch übernehmen. Es entstand ein glattflächiger Flüssigkeits gekühlter Vierzylinder-Boxer-Motor mit 999 ccm Arbeitsvolumen, der mit bisher bekannten Motorradtriebwerken wenig zu tun hatte. Nicht ohne Grund. Honda wollte ja nicht nur mit der technischen Ausführung eines neuen Paradepferdes, mit dem Modellnamen GL 1000 Gold Wing, einen weiteren Meilenstein setzen. Auch hinsichtlich der Pflege, Wartung und Instandsetzung sollte das Triebwerk den alten Zopf, vom ständig schlossernden und den an Öl verschmierten Händen sofort erkennbaren Motorradfahrer, abschneiden. Denn das Werkeln an der eigenen Maschine gehörte Anfang der siebziger Jahre immer noch zum Alltag. Vielfach war es auch zwingend erforderlich. Wer sein Ziel sicher erreichen wollte, musste sich um die Wartung zwangsläufig selbst kümmern. Ganz gleich, ob es das Kettenschmieren oder Kettennachspannen, der Öl- oder Zündkerzenwechsel oder sogar eine Fahrzeugreparatur unterwegs war. Vielen Motorradfahrern gingen aber diese Basteleien zunehmend auf den Keks. Sie wollten lieber fahren als dauernd schrauben.
"Auto-Motor" für ein Motorrad    
Um ein perfektes Motorrad auf die Räder zu stellen, wählten die Honda Techniker daher zum Teil unkonventionelle Wege. Im vertikal getrennten Motorgehäuse aus Leichtmetall-Guß drehte sich die geschmiedete Kurbelwelle in drei Gleitlagern, als hinteres Führungslager diente ein Kugellager. Der Hubzapfenversatz betrug 180 Grad, jedes Pleuel lief auf seinem eigenen Hubzapfen. Den Zahnriemen-Antrieb für die oben liegende Nockenwelle pro Zylinderreihe hatten die Ingenieure aus dem PKW-Bau abgekupfert. Die Einlasskanäle zeigten nach oben, der Auslass nach unten. Für den Gaswechsel waren pro Brennraum zwei Ventile zuständig, die via Kipphebel in Schwung gebracht wurden. Vier Keihin-Gleichdruck-Vergaser mit 32 mm Durchlass waren für die Gemischaufbereitung da, die Entsorgung der Abgase passierte durch je einen, rechts und links am Fahrzeugheck montierten, Schalldämpfer. Der Kurzhuber mit 72 mm Bohrung und 61,4 mm Hub leistete stramme 82 PS bei 7500/min, das maximale Drehmoment von 8,2 mkp erreichte der Motor bei 6500/min.    
Der Tank sitzt unter der Sitzbank     Tourentauglich: Kardanantrieb    

War das Boxer-Bauprinzip als solches nichts Neues, verdiente der 106 kg schwere GL 1000 Motor dennoch nähere Beachtung. Primärantrieb, Mehrscheibenkupplung, Getriebeeinheit sowie Generator befanden sich gemeinsam in einem kompakten Motorblock. Für diese Konstruktion hatte man etliche Zahnräder, Hilfswellen und Antriebsketten vorgesehen, denn das Fünfganggetriebe befand sich nicht wie üblich hinter dem Motor, sondern lag aus Platzgründen und um den Schwerpunkt besser zu verteilen, unter der Kurbelwelle. Damit das Triebwerk auch tatsächlich vibrationsarm lief und um das störende Rückdrehmoment weitgehend zu eliminieren, war die Schwungmasse aufgeteilt. Auf einer separaten Welle lief gegen die Drehrichtung des Kurbeltriebes der gut 4,5 kg schwere Generator mit dem Anlasserfreilauf. Den Antrieb des Generators übernahmen Zahnräder, der Kraftfluss vom Anlasser zum Anlasserfreilauf wurde über eine Kette hergestellt. Als Primärantrieb diente eine Endlos-Zahnkette, die Mehrscheibenkupplung lief im Ölbad. Das Klauen geschaltete Fünfganggetriebe hatte, wie bereits erwähnt, seinen Platz unter dem Kurbeltrieb bekommen, und der Kardanantrieb war mittlerweile bei Honda selbst entwickelt worden. Entgegen einer vielfach verbreiteten Information, die Gold Wing sei das erste japanische Motorrad mit Wellenantrieb, möchte der Autor an dieser Stelle auf die Maschinen von Lilac und Marusho verweisen, die bereits in den 50er Jahren mit solch einem Hinterradantrieb gebaut wurden. Für Honda war die Kardantechnik allerdings Neuland und somit eine riesige Herausforderung. Ebenfalls neu war die Reifendemension des dicken 4.50 H 17 Hinterrades. Mit dieser Gummiwalze ließ sich das hohe Fahrzeuggewicht von 295 kg plus einer Zuladung von 176 kg realisieren. Dass es von den etablierten europäischen Reifenherstellern noch keinen Pneu in diese Größe gab, störte die Honda Leute allerdings wenig. Ebenfalls außergewöhnlich war die Lage des Kraftstofftanks im Rahmendreieck unter der Sitzbank. Dieser Platz war zwingend notwendig, da über dem Triebwerk, wo üblicherweise das Spritfass thront, kaum noch Platz war. Rahmenrohre, Luftfilterkasten und ein Teil der elektrischen Ausrüstung hatten sich hier bereits breitgemacht. Um aber den Schein zu wahren, wurde kurzerhand eine Tankattrappe konstruiert. Diese war so gut gelungen, dass, wer's nicht wusste, den Tank nie und nimmer unter der Sitzbank vermutete.    

Damals "Maß der Dinge": Doppelscheibenbremse

Fortschrittlich war die Bremsanlage. Am vorderen 3.50 H 19 Speichenrad mit Alu-Felge war eine Doppelscheibenbremse mit 232 mm Durchmesser und hinten eine 250 mm große Scheibenbremse montiert. Als weitere Besonderheiten mussten die Benzinpumpe, sie war durch die tiefe Lage des Tanks erforderlich, und die Tankuhr auf der Tankattrappe erwähnt werden. Die heute als "Naked-Bike" gefeierte Maschine entsprach damals den Vorstellungen vom großen Motorrad. Die Zeit der serienmäßigen Halbverschalungen und tourenmässigen Vollverkleidungen sollte erst noch kommen und bis es soweit war, überließen die Fahrzeughersteller lieber das Geschäft kleinen Zulieferfirmen. Eine Geschichte, auf die wir später noch zurückkommen müssen. Natürlich hatte es einige Zeit gedauert, bis die Gold Wing serienreif war, zunächst wurde mit verschiedenen Tank- und Sitzbankformen sowie schmalen und breiten Radabdeckungen experimentiert, auch gab es eine Studie mit lenkerfester Halbverkleidung, ein Prototyp mit Gussfelgen und sogar einen mit verchromter 4-in-4 Auspuffanlage. Die geheimen Testfahrten erfolgten in Japan, in den USA und auch auf deutschen Straßen. Im Herbst 1974 waren alle Versuche abgeschlossen und die endgültige Modellausführung für eine Fließbandproduktion festgelegt. Jetzt fehlte nur noch ein geeigneter Anlass, den neuen, sechs Zentner schweren Supersport-Tourer der Öffentlichkeit vorzustellen.
Für dieses Ereignis fiel die Wahl auf die IFMA in Köln. Stand bei der Motorradshow 1972 die Kawasaki "Z1" im Rampenlicht, feierte hier zwei Jahre später die Honda GL 1000 Gold Wing Weltpremiere. Hondas neues Flaggschiff wurde tatsächlich zur Sensation. Doch an die Euphorien, die damals die "Z1" ausgelöst hatte, kam der Super-Tourer nicht heran. Die Meinung der Fachleute sowie der Motorradfans spaltete sich in zwei Lager. Der eine Teil lehnte das neumoderne "Auto-Motorrad" von vornherein ab. Sie wetterten über das Aussehen, die komplizierte Technik und das hohe Gewicht. Wer mit dieser Maschine eine Panne hat, kann weder die Vergaser noch die Zündung selbst einstellen. An diesem Motorrad, orakelten die „Windgesichter", werden sich die Abschleppdienste und Werkstätten eine goldene Nase verdienen. Geht mal was kaputt, wussten die Spezis sofort, muss man das Motorrad gleich wegen jeder Kleinigkeit in die Vertragswerkstatt bringen. Doch nicht alle dachten so. Endlich haben es die Japaner fertiggebracht, frohlockten die Tourenfahrer und Weltenbummler, ein leistungs- und hubraumstarkes Reisemotorrad mit Kardanantrieb auf den Markt zu bringen. Und genau für diese Käuferschicht war die GL 1000 wie geschaffen, auch wenn Honda die Gold Wing zunächst als eine Supersport-Tourer verkaufen wollte. Aber supersportlich war die Gold Wing beileibe nicht. Doch bis sich das herumgesprochen hatte, sollte noch einiges passieren. Gleich nach der Präsentation bei der IFMA überschlug sich landauf, landab die Fachpresse. In ihren Artikeln lobten die Redakteure Hondas Mut zum neuen Konzept und stellten alle möglichen Spekulationen über die Fahreigenschaften des 82 PS-Super-Bikes auf.    
Bis die neue GL 1000 K0 Gold Wing aber erstmals offiziell über deutsche Straßen rollte, sollte es Sommer 1975 werden. Mit den ersten Fahrberichten konnte Honda zufrieden sein. Einstimmig schwärmten die Tester vom seidenweichen und vibrationsfreien Motorlauf und dem kräftigen Durchzug. Noch nie hätte es ein Motorrad gegeben, mit dem man so bequem und leise fahren könne. Die Flüssigkeitskühlung stabilisierte nicht nur die Motortemperatur, der Wassermantel dämpfte auch die mechanischen Geräusche. Zwar sei die Gold Wing mit 295 kg nicht gerade ein Leichtgewicht, doch war der Koloss erstmals am Rollen, ließ sich vom Gewicht nichts mehr spüren. Der niedrige Schwerpunkt machte die Maschine tatsächlich erstaunlich handlich. Großes Lob erntete die Maschine auch nach langen Touren über die Autobahn. Im Vergleich zu den Kardan-Maschinen von BMW und Moto Guzzi sammelte die GL jede Menge Pluspunkte. Doch die Tester und auch etliche stolze Gold Wing Besitzer mussten ihren ersten Eindruck schnell revidieren. Gab der Pilot der GL 1000 den Befehl die Flügel auszustrecken und ließ er die Maschine mit vollem Karacho über den Asphalt sausen, konnte ihm rasch Angst und Bange werden. Ob in langgezogenen Autobahnkurven, oder über Quer-oder Längsrillen oder auf schnellen Bundesstraßen, je nach Lust und Laune, begann das Fahrwerk furchterregend. zu wackeln und je nach Situation konnte es durchaus passieren, dass der Fahrer zum Abfangen der GL - wenn er Glück hatte - die gesamte Straßenbeite benötigte. Schnelles Kurvenfahren und die hiermit verbundene Schräglage möchte das Topmodell überhaupt nicht ab. Schon bei "ziviler" Neigung setzten Schalldämpfer und Fußraste Funken sprühend auf der Fahrbahn auf. Dass die GL 1000 nichts für Heizer war, sprach sich in Windeseile herum. Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. Zwischen September 1977 und Juli 1978 ereigneten sich mit der GL 1000 drei schwere Unfälle, einer davon mit tödlichem Ausgang. Die spektakulären Motorrad-Unglücke lösten eine Reihe von Prozessen aus, bei denen es letztendlich um die Produkthaftung von Zubehörteilen ging. An allen drei GL-Maschinen waren nämlich lenkerfeste Zusatzverkleidungen - mit TÜV-Gutachten versteht sich - montiert. Die Geschädigten oder ihre Angehörigen verklagten Honda, es wurden Gutachten und Gegengutachten erstellt und Dutzende von Zeugen vernommen. Zunächst gelang es den verantwortlichen Firmenvertretern den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sie erbrachten den Nachweis, dass nicht das Motorrad, sondern die Verkleidung an den Unfällen Schuld sei. Dennoch, der ADAC warnte seine Leser vor dem Monster-Tourer und sogar das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete über die Vorfälle. Die Sache war für Honda allerdings längst nicht durchgestanden. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe vertrat 1989 in seinem Urteil die Ansicht, dass auch den Fahrzeughersteller eine Schuld treffe. Auch TÜV-geprüfte Zubehörbauteile, die nachträglich an ein Fahrzeug geschraubt werden, müssen vom Hersteller getestet und freigegeben werden. Ein Urteil, das gravierende Auswirkungen auf die gesamte Motorradbranche hatte.    
Gold Wing LTD von 1976
Bis Ende 1980 blieb die 1000er Gold Wing im Angebot, 3620 Käufer erwarben den Sechszentner-Boliden. 1975 war es die GL 1000 KO; 1976 die GL 1000 K1 und parallel dazu die GL 1000 LTD, 1977 die GL 1000 K2 und ab 1978 die GL 1000 K3 und zum Schluss die K4. Optisch unterschieden sich die Modelle in ihrer Lackierung und ab der K3 drehten sich ComStar-Felgen im Dickschiff, die Leistung sackte 1978 auf 78 PS. GL-Kenner werden jetzt aber gleich rufen, da waren doch noch viel mehr Modifikationen. Recht haben sie. Doch alle aufgezählt, würden sie den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Aus diesem Grund sollen hier nur die wichtigsten genannt werden. Von der K0 wollte Honda 60.000 Einheiten bauen, tatsächlich wurden es aber nur 5.000 Maschinen. Bei uns kostete 1975 der Highway-Runner rund 9.300 Mark. Die wichtigste Modellpflege zur K1 war 1976 eine neue Sitzbank und das Schrägrollenlager im Steuerkopf, der Preis blieb bei 9.300 Mark. Parallel zur GL 1000 K1 gab es in diesem Jahr das nur 3000 mal produzierte Jubiläumsmodell "LTD".
Optisch mit reichlich Chrom, Gold-eloxierten Felgen, Sonderlackierung und Edel-Bordwerkzeug ausgestattet, war die LTD, ohne es selbst zu wissen, ein Vorreiter der bald in Mode kommenden Softchopper-Welle. Für knapp 11.000 Mark wurden rund 500 Maschinen bei uns verkauft. Ab 1977, der GL 1000 K2, gab es eine frische Lackierung, das Bike kostet jetzt nur noch 8300 Mark. Auf die K2 folgt logischerweise 1978 die K3 und 1979 kam die kaum geänderte K4. Beide Maschinen, K3 und K4, sind an der von vorne bis hinten verchromten Auspuffanlage, den ComStar-Felgen sowie den Instrumenten auf der Tankattrappe zu erkennen. Ein besseres Fahrverhalten sollte der verstärkte Rahmen bewirken. Vergaser mit 31mm statt 32 mm Durchlass, geänderte Steuerzeiten sowie Zündanlage sorgten für mehr Dampf aus dem Keller, ließen die Spitzenleistung allerdings von 82 PS auf 78 PS sinken. 1978 gab es die K3 für 7250 Mark, 1979 für 8760 Mark, und 1980 fiel der Preis für das Auslaufmodell auf unter 7.000 Mark. Kein Wunder. Die neue GL 1100 stand ab Mitte 1980 bei den Honda Händlern im Schaufenster. Eine neues GL-Kapitel wurde aufgeschlagen.
GL1100DX von 1982              GL1100-Triebwerk jetzt mit 83 PS
    
Zweifellos hatte Mr. Soichiro Honda mit der GL 1000 Gold Wing wieder einmal einen Meilenstein in der Motorradgeschichte gesetzt. Dieser Meilenstein war allerdings nicht makellos. Durch die Unfälle und die damit verbundenen Gerichtsverfahren war das Motorrad mächtig in Verruf gekommen. Kein Mensch sprach mehr vom sportlichen Supertourer, die Honda- Leute am allerwenigsten. Und so wurde 1980 aus der "agilen" GL 1000 der Luxus-Tourer GL 1100 Gold Wing. Für die deutsche Motorradkundschaft hatte man den Tourer als "Softchopper" oder, wie man inzwischen sagen würde, als "Naked-Bike" konzipiert. Eine Maschine ohne Kunststoffverkleidung und sonstigem Tourenzubehör. Der Motor war im Großen und Ganzen der alte Bekannte aus der GL 1000. Für den Einsatz im neuen Flaggschiff wurde er aber gründlich überarbeitet. Durch die Vergrößerung der Zylinderbohrung von 72 auf 75 mm ergab sich ein Hubraum von exakt 1085 ccm. Geänderte Steuerzeiten, eine kontaktlose elektronische CDI-Zündanlage, neue Keihin-Gleichdruckvergaser mit 30 mm Querschnitt steigerten die Motorleistung auf 83 PS bei 7500/min und verbesserten das maximale Drehmoment auf 9,2 mkp bei 5500/min. Im gleichen Aufwasch verstärkte man Kupplung, Getriebe und Kardanantrieb. Mit dieser Kur hatte man nicht nur die Standfestigkeit des Triebwerkes verbessert, der Motor verfügte nun über einen noch besseren Durchzug. Auch das Fahrwerk wurde hinsichtlich des Leistungszuwachses überarbeitet und die Rahmengeometrie gleich mit geändert. Der Radstand betrug anstatt 1560 mm nun 1605 mm, den Nachlauf hatte man von 120 mm auf 135 mm verlängert. Für bessere Fahrstabilität sorgten darüber hinaus Felgen aus der neuen ComStar-Generation, bei denen die Leichtmetallspeichen mit den Schnittkanten nach außen zeigten. Auf die Laufräder waren Niederquerschnittsreifen von Dunlop montiert, vorne ein 110/90 H 19 Pneu und hinten eine 130/90 H 17 Gummiwalze.        


Für Fahrkomfort sorgten die Luft unterstützte Telegabel und die ebenfalls luftunterstützten Federbeine. Individuell ließen sich die Federelemente auf die Bedürfnisse der Passagiere abstimmen. Nachdem die Gold Wing nun ganz klar als Touren-Motorrad verkauft wurde, regte sich niemand mehr über zuwenig Schräglagenfreiheit oder das hohe Gewicht auf. Ein Tester charakterisierte es wie folgt: "Gemütlich durch die Lande streifen, genügend Reserve fürs Überholen - dafür ist die Gold Wing richtig. Wer heizen will, darf sie nicht kaufen. Aus einem Omnibus lässt sich nun mal kein Formel 1-Rennwagen machen."
Knieschleifer und Rennfans kauften und interessierten sich sowieso nicht für das Dickschiff. Wer sich eine GL 1100 anschaffte, wusste im Prinzip, auf was er sich einließ. Die Fangemeinde wurde immer größer, und es sollte nicht mehr lange dauern, und die Gold Wing hatte einen ähnlichen Kultstatus eingenommen, wie man es nur von den Maschinen der amerikanischen Traditionsmarke Harley-Davidson kannte. Im Laufe der Jahre entwickelte sie eine regelrechte GL-Szene. Bald gab es unendlich viel Zubehör, Sinnvolles wie Gimmicks. Das erste Marken gebundene Gold Wing-Treffen fand im Sommer 1978 statt, drei Jahre später formierte sich aus dem "Freundeskreis der Gold Wing Fahrer" der Gold Wing Club Deutschland e.V. (GWCD). Es wird eine eigene Club-Zeitung herausgegeben, und rund 1200 Leute sind heute im GWCD Mitglied. Das sind immerhin etwa 15 Prozent aller deutschen Gold Wing-Fahrer. Darüber hinaus gibt es regionale Gold Wing-Stammtische und natürlich die GL-Clubs in den Nachbarländern, die sich in der Gold Wing European Federation (GWEF) organisiert haben.


Dennoch waren Anfang der achtziger Jahre die Gold Wing Fahrer hierzulande mit der neuen GL 1100 unzufrieden. Was ihnen fehlte, waren Verkleidung, Packtaschen und Topcase - eine Tourenausstattung, die bei der GL1100 Gold Wing "Interstate" in den USA zum Standard gehörte. Kein Wunder, der Luxusliner wurde mittlerweile in der Hondafabrik in Marysville im US-Staat Ohio produziert. Für das japanische Unternehmen war der US-Markt sehr wichtig, auch wollte man die Gold Wing genau für die Bedürfnisse der amerikanischen Biker bauen. Und so wurde sie im Laufe der nächsten Jahre zu einem "Luxus-Appartement auf zwei Rädern", zu einem Motorrad, das eigentlich noch viel zu jung ist, um in einem Oldtimer Markt Artikel gewürdigt zu werden. Doch um das Kapitel hier nicht einfach abzuschneiden, wollen wir noch einen Blick auf die weiteren Modelle werfen. Bereits 1981 wagte es Honda, die Gold Wing auch in Deutschland, nun als GL1100DB mit einer Vollverkleidung anzubieten. Mit flacher Verkleidungsscheibe versteht sich, da der TÜV das hohe Plexiglas nicht freigeben wollte. Auch gegen die Koffer und das Topcase hatten die Sachverständigen vom technischen Prüfverein etwas. Wem das US-Modell jedoch besser gefiel, brauchte nicht in die Röhre gucken. Inzwischen hatten sich einige Grau-Händler auf den Import der "Interstate" spezialisiert, und so kam es, dass man bald immer mehr Gold Wings mit original Verkleidung, Seitenkoffern und dem geräumigen Topcase über deutsche Highways gleiten sah. Und wer es bis dato immer noch nichts gemerkt hatte, dem fiel es schließlich im Herbst 1981 wie Schuppen von den Augen. Nämlich da, als Honda die GL1100 "Aspencade" präsentierte. Der erste japanische Supersport-Tourer mit Wasser gekühltem Vierzylinder-Motor und Kardanantrieb von Anno 1974 hatte sich zum luxuriösen, amerikanischen Straßenkreuzer entwickelt. Die "Aspencade" war mit Technik und Zubehör nur so vollgestopft. Serienmäßig gab es Bordkompressor, Radio/Kassettenrecorder, CB-Funk und selbstverständlich den Schminkspiegel im Topcase. Was dem 317 kg schweren Reisedampfer allerdings jetzt noch fehlte, war der Rückwärtsgang. Doch den sollte es auch bald geben.
Bis es allerdings soweit war, wurde die GL1100 für das Modelljahr 1983 noch einmal mächtig aufgemöbelt - für die US-Ausführung versteht sich. Bei uns mußten sich die GL-Kunden weiterhin mit der Sparversion Interstate abfinden. Die "Aspencade" wurde für die echten Gold Wing-Fans aber zum Muss. Sie verfügte nun über ein Integralbremssystem mit innenbelüfteten Bremsscheiben, Guss-Felgen, Gabelstabilisator, einer Telegabel mit dem Anti-Dive-System TRAC (Torque Reactive Anti-Dive Control) und anstelle der konventionellen Instrumente zeigte ein digitales Informationsbord, das sogenannte "Mäusekino", im Cockpit dem Fahrer an, was Sache ist. Bei uns machten wieder die Grau-Händler das dicke Geschäft mit dem Highway-Cruiser.
Mit der GL1200 wurde die Gold Wing zum Reisemobil



Zehn Jahre nach der ersten GL brachte Honda Amerika die GL 1200 auf den Markt. Nun mit 1182 ccm, 94 PS, wartungsfreiem, hydraulischen Ventilspielausgleich, einem noch einmal verbesserten Fahrwerk mit 16 Zoll Vorderrad und 15 Zoll Hinterradreifen. Vom 1200er Modell gab es die GL 1200, GL 1200 Interstate und als Highlight die GL 1200 Aspencade. In den nächsten vier Jahren legten die amerikanisch/japanischen Gold Wing Konstrukteure noch einige Briketts auf. 1985 wurde die GL 1200 Limited Edition und 1986 die GL 1200 Aspencade SE-i mit Computer gesteuerter Benzineinspritzung ausgestattet. Jedoch nur zwei Jahre. Es gab technische Probleme, Honda nahm die Einspritzversion wieder aus dem Angebot. Der größte und letzte Evolutionsschritt in der GL-Baureihe erfolgte 1988 mit der Vorstellung der GL 1500/6. Rund 14 Jahre nachdem Soichiro Irimajiri seinen Sechszylinder-AOK gebaut hatte, rollte nun tatsächlich die Gold Wing mit einem flüssigkeitsgekühltem Sechszylinder-Viertakt-Motor in Marysville vom Montageband. Schwer und mächtig war der Super-Tourer inzwischen geworden, mit allem erdenklichen Zubehör ausgestattet, brachte er stolze 393 kg auf die Waage Und da man solch ein Motorrad kaum noch zurückrangieren konnte, besaß das rollende Wohnzimmer nun endlich einen Rückwärtsgang...
GL1500 Gold Wing mit 1500er Sechszylinder-Boxermotor und Rückwärtsgang     
    

Eigentlich wäre die Reisemobil-Story hier zu Ende. 2001 hat Honda nun aber den Gold Wing Überhammer mit 1800 ccm und 119 PS auf den Markt gebracht, Motorrad-Urlauber was willst noch mehr
...?.
Technische Daten: Honda GL 1000 K0 Gold Wing  Modelljahr 1975    

Motor:  Flüssigkeits gekühlter Vierzylinder-Boxer-Motor; je eine Zahnriemen getriebene oben liegende Nockenwelle; Kipphebel; zwei Ventile pro Zylinder; Stahlkurbelwelle, 3 Gleitlager und 1 Kugellager: Hubraum 999 cm³; Bohrung x Hub 72 x 61,4 mm; Leistung 82 PS bei 7500/min; max. Drehmoment bei 8,2 mkp bei 6500/min; Verdichtung: 9,2:1. Vergaser vier Keihin-CV-Unterdruckvergaser, Ø 32 mm. Naßsumpfschmierung 3,5 Liter 10W-40 Elektrik:  Kontakt gesteuerte Batterie-Spulenzündung; 12 Volt /300 Watt Drehstromgenerator; 12V/20 Ah Batterie Getriebe: Primärantrieb über Endlos-Zahnkette; Mehrscheiben-Kupplung im Ölbad; Klauen geschaltetes Fünfganggetriebe; Sekundärantrieb über Kardan; E.-Starter plus Not- Kickstarter Fahrwerk: Doppelschleifenrohrrahmen; Telegabel; Ø 37 mm; Federweg 120 mm; Hinterradschwinge; zwei fünffach verstellbare Federbeine; Federweg 87 mm; vorne Doppelscheibenbremse; Ø 232 mm; hinten Scheibenbremse Ø 250 mm; Bereifung: vorn 3.50 H 19; hinten 4.50 H 17; Tankinhalt 19,3 Liter; Gewicht mit Betriebsstoffen und Bordwerkzeug 295 kg; Zulässiges Gesamtgewicht 471 kg Spitze:  über 200 km/h    
Ab 1980 kam die GL1100 Gold Wing auf den Markt